Warum KI-Projekte an Arbeitsgewohnheiten scheitern

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95% aller KI-Initiativen liefern nicht die erwarteten Ergebnisse. Nur 26% der Unternehmen verzeichnen einen messbaren ROI aus ihren KI-Investitionen. Diese Zahlen stammen aus aktuellen Studien von MIT und Boston Consulting Group – und sie werfen eine zentrale Frage auf: Woran scheitern KI-Projekte wirklich?
Die Antwort, die sich in der Forschung zeigt, ist überraschend klar: Nicht an der Technologie, sondern an der Geschwindigkeit, mit der Menschen ihre Arbeitsgewohnheiten verändern können.

Der unsichtbare Zeitversatz

Ein Krankenhaus führt ein KI-gestütztes Unterstützungs-System ein. Die Technologie ist ausgereift, wissenschaftlich validiert und in die elektronischen Patientenakten integriert. Das System kann nachweislich dabei helfen, Leben zu retten. Und trotzdem: Ärzt*innen ignorieren die Empfehlungen oder umgehen das System.
Der Grund? Die Alerts unterbrechen den gewohnten Arbeitsablauf. 30 Sekunden zusätzliche Prüfzeit erscheinen im hektischen Klinikalltag als Verlust – selbst wenn sie potenziell Leben retten. Was von außen irrational wirkt, ist zutiefst menschlich: Menschen gewichten wahrgenommene Verluste höher als gleichwertige Gewinne. Sie halten an vertrauten Routinen fest, selbst wenn diese ineffizient sind.
Dieses Beispiel aus der Forschung zeigt den Kern des Problems: Die technische Implementierung von KI läuft in einem anderen Tempo als die Veränderung etablierter Arbeitsgewohnheiten. Technologie lässt sich installieren, konfigurieren, ausrollen. Gewohnheiten hingegen – das zeigen Jahrzehnte verhaltenspsychologischer Forschung – verändern sich langsam, ungleichmäßig und nur dann nachhaltig, wenn Menschen Vertrauen aufbauen, neue Routinen entwickeln und alte Muster bewusst loslassen können.

Die Lücke zwischen Innovation und Transformation

Eine Umfrage unter CIOs offenbart diesen Zeitversatz in Zahlen: 71% sehen sich verantwortlich für die Beschleunigung KI-getriebener Innovation und Anwendungen. Aber nur 32% betrachten sich als verantwortlich für die umfassendere organisatorische Transformation.
Diese 39-Prozentpunkt-Lücke markiert genau den Punkt, an dem viele KI-Projekte ins Stocken geraten. Wer KI primär als technisches Upgrade behandelt – als Frage der richtigen Systeme, Schnittstellen und Algorithmen – übersieht, dass erfolgreiche Einführung eine Frage der Verhaltensänderung ist. Es geht darum, wie Menschen täglich mit KI arbeiten, wie sie ihr vertrauen und wie sie ihre Arbeitsweisen anpassen.
Der Verhaltenspsychologe würde von Technosolutionismus sprechen: dem Glauben, dass technologische Verbesserungen allein organisatorische Probleme lösen. Doch Integration neuer KI-Tools ist keine Engineering-Aufgabe, sondern eine Change-Management-Herausforderung.

Warum Gewohnheiten sich langsamer ändern als Technologie

Menschen sind keine rationalen Akteure, die Effizienzgewinne automatisch annehmen. Die Forschung zeigt mehrere Mechanismen, die erklären, warum Arbeitsgewohnheiten sich nur langsam verändern:
Verlustaversion dominiert Gewinnorientierung. Wenn eine neue KI-Lösung den Arbeitsablauf auch nur geringfügig verändert, wird dieser Eingriff als Verlust wahrgenommen – selbst wenn langfristig Zeit gespart oder bessere Ergebnisse erzielt werden.
Algorithm Aversion führt dazu, dass Menschen einen Algorithmus nach einem einzigen Fehler ablehnen, selbst wenn dieser über längere Zeit deutlich besser abschneidet als menschliche Entscheidungen.
Überschätzung menschlicher Urteilskraft lässt Menschen glauben, sie verstünden menschliches Denken besser als das einer KI – was dazu führt, dass sie KI-Empfehlungen grundsätzlich skeptisch gegenüberstehen.
Diese Muster sind keine Fehler im System – sie sind grundlegend dafür, wie Menschen Veränderung verarbeiten. Und sie erklären, warum die Geschwindigkeit der Transformation nicht vom technischen Rollout bestimmt wird, sondern von der Fähigkeit der Organisation, neue Arbeitsgewohnheiten aufzubauen und zu festigen.

Was sich daraus für KI-Projekte ergibt

Organisationen, die KI erfolgreich einführen wollen, müssen diesen Zeitversatz anerkennen. Das bedeutet nicht, dass Technologie unwichtig wäre – aber sie ist nicht der limitierende Faktor.
Co-Design statt nachträglicher Akzeptanzförderung. Wenn Mitarbeitende erst nach der Systementscheidung befragt werden, ist die Einführung bereits zur Marketing-Übung geworden statt zu einem Change-Prozess. Erfolgreiche Projekte binden diverse Nutzer*innen früh ein – nicht um die Technologie zu optimieren, sondern um Arbeitsweisen und System gemeinsam zu entwickeln.
Transparenz über Grenzen statt Perfektionsversprechen. Studien aus dem Gesundheitswesen zeigen: Wenn Anbieter proaktiv die Grenzen und potenziellen Verzerrungen eines KI-Systems offenlegten, stieg das Vertrauen der Patient*innen. Ehrlichkeit über Unvollkommenheit machte Menschen eher bereit, die Technologie anzunehmen.
Augmentation statt Ersatz. KI als Partner zu framen, der repetitive Teilziele übernimmt und Menschen für anspruchsvollere Arbeit freispielt, reduziert die Angst vor Kontrollverlust und Autonomieeinbuße – zwei zentrale Hürden für die Veränderung von Arbeitsgewohnheiten.
Change Management als Kernkompetenz. Erfolgreiche KI-Einführung erfordert Führungskräfte, die Widerstand identifizieren, transparent kommunizieren, regelmäßig Feedback einholen und Verhaltensänderung aktiv vorleben. Nicht die technische Expertise entscheidet, sondern die Fähigkeit, Menschen durch Veränderung zu führen.

Zeit einplanen – nicht übersehen

Der entscheidende Punkt ist nicht, dass KI-Projekte immer scheitern müssen. Sie scheitern dann, wenn Organisationen den Zeitbedarf für Verhaltensänderung systematisch unterschätzen – oder ihn ganz übersehen.
Technologie lässt sich schneller implementieren als Gewohnheiten sich ändern. Dieser Zeitversatz ist kein Hindernis, das sich durch bessere Software beseitigen lässt. Er ist eine Eigenschaft menschlicher Organisationen. Wer ihn ignoriert, plant am eigentlichen Problem vorbei.
Die Forschung macht deutlich: KI-Transformation ist Verhaltenstransformation. Die Geschwindigkeit, mit der diese gelingt, wird nicht von Rechenleistung oder Algorithmen bestimmt, sondern davon, wie schnell Menschen Vertrauen aufbauen, neue Routinen entwickeln und alte Arbeitsweisen loslassen können.
Das ist keine schlechte Nachricht. Es ist eine Einladung, KI-Projekte realistisch zu planen – mit dem Fokus auf dem, was wirklich Zeit braucht: der nachhaltigen Veränderung von Arbeitsgewohnheiten.

Quelle
HBR
AI And Machine Learning
How Behavioral Science Can Improve the Return on AI Investments
by David De Cremer, Shane Schweitzer, Jack J. McGuire and Devesh Narayanan
November 19, 2025
 
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